Frankfurter Positionen zur Zukunft des deutschen Films

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Die Frankfurter Positionen zur Zukunft des deutschen Films sind das Ergebnispapier des FRANKFURTER KONGRESS ZUKUNFT DEUTSCHER FILM 05. – 06.04.2018.


Als Edgar Reitz vor zwei Jahren Schirmherr des LICHTER Filmfest Frankfurt war und grundlegende Reformen im deutschen Filmsystem forderte, machte er öffentlich, was fast allen Beteiligten schon seit längerem bekannt ist: Das System von Filmherstellung und -verbreitung in Deutschland be ndet sich in einer Sackgasse. Es ist auf der Produktionsseite von verknöcherten Strukturen, langen Entscheidungswegen und faulen künstlerischen Kompromissen gekennzeichnet und auf der Distributionsseite von einem grundlegenden Wandel der Medienwelt betroffen.


Viele Menschen haben auf Aspekte dieser Herausforderungen Antworten gegeben. Dennoch wird häufig aneinander vorbeigeredet. Missverständnisse und Misstrauen verhindern eine offene Debatte. Wir haben einen anderen Ansatz gewählt. Wir haben in Frankfurt Filmschaffende aus den verschiedensten Bereichen der Branche zusammengebracht und sie darum gebeten, zu diskutieren und konkrete Vorschläge zu erarbeiten. Vorschläge, die ein breites Spektrum von Themen abdecken und dabei deutlich machen, dass an vielen Stellen Grundlegendes verändert werden muss, damit in diesem Land ein Aufbruch in Film und Kino beginnen kann.


Das vorliegende Papier ist das Ergebnis dieses Prozesses. Es wurde in drei Arbeitsgruppen erstellt, die in teilweise wechselnder Zusammensetzung unabhängig voneinander gearbeitet und dabei Impulse aus dem Kongressprogramm aufgenommen haben. Es enthält zahlreiche Positionen zu verschiedenen Aspekten des Filmbetriebs, die naturgemäß nicht von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses geteilt werden.


Wir sind überzeugt, dass dieses Papier einen Weg aufzeigt, in welche Richtung sich die Verhältnisse ändern können. Es versteht sich als Motor für weitere Diskussionen, vor allem aber soll es ein Aufruf zu konkreten Taten sein. In diesem Sinne wünschen wir uns, dass möglichst viele, denen das Kino am Herzen liegt – ob sie am Kongress teilgenommen haben oder nicht –, sich diesem Aufruf anschließen, auch wenn sie nicht jeden einzelnen Vorschlag des Papiers unterstützen.


FÖRDERUNG UND FINANZIERUNG

DIE SITUATION

DIE AKTUELLE FINANZIERUNGSPRAXIS BRINGT GREMIENFILME HERVOR UND LÄSST EINEN KINOFILM DER KUNSTFREIHEIT VERMISSEN. DIE FINANZIERUNG DEUTSCHER KINOFILME IST INZWISCHEN KOMPLEXER ALS DIE FILME SELBST! LASST UNS DIE FINANZIERUNG VEREINFACHEN!

Der deutsche Kinofilm ist maßgeblich von seiner Finanzierungsform geprägt. Diese besteht einerseits aus den an vielen Orten stattfindenden Förderungen mit öffentlichen Mitteln und andererseits aus der Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an den Kinofilmproduktionen. Diese Finanzierungsbasis hat in den letzten Jahrzehnten kommerzielle Erfolge und auch künstlerisch wichtige Filme hervorgebracht, wie auch Überschneidungen von beiden. Unbestreitbar ist der Verdienst um die „Neuen deutschen Filme“ von den 60er Jahren bis in die 90er des vergangenen Jahrhunderts. Auch der Anstieg des deutschen Marktanteils durch Komödien und andere deutsche Kassenerfolge verdankt sich dieser Finanzierungsform.


Die Entscheidungen, welche Filme entstehen, liegt fast ausschließlich in der Hand von Fördergremien auf der einen, Fernsehredaktionen auf der anderen Seite. In den letzten 20 Jahren sind die Auswahlprozesse zusammengewachsen, in fast allen Gremien sitzen nun auch RedakteurInnen, da sich die Fernsehanstalten immer mehr direkt an der Ausstattung der Filmförderungen beteiligen. Im Gegenzug fordern die Sender mehr Einflussnahme sowie Förderung ihrer eigenen Filme, oft reine TV-Produktionen. Insgesamt ist so ein Förder-TV-Komplex für die Finanzierung deutscher Spielfilme entstanden, um dessen im weltweiten Vergleich üppige finanzielle Ausstattung uns FilmemacherInnen in vielen Ländern beneiden.


Nach unserer Wahrnehmung hat diese Finanzierungsform in den letzten 20 Jahren aber auch immer weniger künstlerische, ambitionierte und gesellschaftlich herausfordernde Filme hervorgebracht. Alleine der Branchen-Hype um die Ausnahme Toni Erdmann (Cannes-Teilnahme, Oscar Nominierung) zeigt, wie viel im deutschen Kinofilm brachliegt. Edgar Reitz und andere sprechen von dem „deutschen Gremienfilm“, dessen Produkte durch einen Mangel an Ecken und Kanten, durch die Vermeidung extremer Themen und Atmosphären, durch wenig Diversität, aber auch durch immer ähnlichere Ästhetiken sowie gleiche Dramaturgien voneinander ununterscheidbar und damit für das Publikum uninteressanter geworden sind. Hinzu kommt, dass mit der Vielzahl der Förderinstitutionen ein enormer Apparat entstanden ist, der selbst sehr viel Geld verschlingt. Die zahlreichen Gremien erzeugen einen absurden (und schlecht entlohnten) Arbeitsaufwand – für jede Fördersitzung müssen ca. 6-10 Leute jeweils um die 60-80 Drehbücher lesen und sich mit den Projekten eingehend auseinandersetzen, was de facto kaum zu leisten ist. Deswegen wird in der Praxis oft einfach das durchgewunken, was von etablierten FilmemacherInnen kommt, was an Bestehendes erinnert oder eben gerade „en vogue“ ist.


KLARES BEKENNTNIS ZUM KINOFILM DER KUNSTFREIHEIT, KEIN ETIKETTENSCHWINDEL!

Wir halten es für dringend geboten, gegen die drohende Monokultur des deutschen Gremienfilms wieder einen Kinofilm der Kunstfreiheit zu ermöglichen und entschieden zu stärken – ein Kinofilm, der sich auch in inhaltliche und ästhetische Extreme wagt.


In Deutschland wird diese Art von Filmen oft nicht mehr entwickelt, weil die Entscheidungen in Fördergremien und Fernsehredaktionen seit langem in der Regel für einen Typus Film fallen, der sich am kleinsten gemeinsamen Nenner, einer Art „Middle-of-the-road“-Erzählung und -Ästhetik, orientiert. Das basiert nicht auf „angeordneten“ Kriterien – diese Praxis ist die Antwort auf Gremienentscheidungen, die das Extreme, das Ungewöhnliche, das Bodenlose und das ästhetisch Innovative in der Regel ausschließen. Stattdessen werden Filme vor allem am Sujet gemessen und oft, vor allem im Fernsehen, wird ein Element namens „soziale Relevanz“ eingefordert, das noch aus dem intellektuellen Mainstream der 1970er Jahre stammt.


Da kommerzielle Kriterien im Gegensatz zu künstlerischen Kriterien sehr leicht quantizierbar sind, bleiben sie bei allen Entscheidungen in Gremien und Redaktionen präsent. Aus diesem Grund hat die FFA auch 2017 zu dieser „letzten Instanz“ gegriffen und in ihren Leitlinien für die Gremien eine Fördergrenze von mindestens 250.000 zu erwartenden ZuschauerInnen definiert. Filme über diesen Erwartungen sind kommerziell akzeptabel und förderbar, alle anderen erhalten keine Förderung, sind also unkommerziell.


Untersucht man die Marktanteile deutscher Filme, so zeigt sich seit 20 Jahren ein sehr stabiles Bild: die Filme mit mehr als 250.000 ZuschauerInnen decken zusammen 85-90% des Marktes für deutsche Kinofilme ab, während die Gesamtheit der Filme unter 250.000 ZuschauerInnen konstant um die 10-15% der Tickets für deutsche Filme ausmacht. Die Anzahl der Filme ist in diesen beiden Gruppen dabei sehr unterschiedlich. Während die nach FFA-Leitlinien erfolgreichen Filme 15-25 Titel pro Jahr ausmachen, gehen in der Gruppe unter 250.000 ZuschauerInnen jedes Jahr 60-90 Filme an den Start.


Geht man nun davon aus, dass der deutsche Film seit 20 Jahren kommerziell in der Gruppe mit über 250.000 ZuschauerInnen erfolgreich ist, der künstlerische Anspruch und ein kultureller „impact“ aber verfehlt werden, so liegt dies unserer Meinung nach in erster Linie an dem Gremien-Auswahlverfahren mit seinen inhärenten Schwächen und den schwammigen und intransparenten Kriterien für künstlerische Filme. Da beide Gruppen, Filme über und unter 250.000 ZuschauerInnen aber in den meisten Gremien gemeinsam unter den gleichen Kriterien beurteilt und gefördert werden, kann man feststellen, dass diese Praxis für 15-25 kommerzielle Filme im Jahr funktioniert, jedoch für den künstlerischen, radikalen und nicht an gängigen kommerziellen Mustern orientierten Film (unter 250.000 erwarteten ZuschauerInnen) nicht. Für diese Projekte stellt die aktuelle Vergabepraxis nach gleichen Kriterien einen Etikettenschwindel dar.


Interessanterweise verteilen sich die Fördersummen derzeit ungefähr zu gleichen Teilen auf diese beiden Gruppen.

FILMFÖRDERUNG

50% DER FÖRDERMITTEL FÜR KÜNSTLERISCH ORIENTIERTE FILME

Wir fordern daher: Die deutschen Förderungen sollten das abbilden, was ohnehin der Fall ist, und in zwei Gruppen aufgeteilt werden, so wie es am Anfang der deutschen Fördergeschichte schon einmal war. In einer Gruppe werden 50% der Mittel über ein klar an kommerziellen Zielen ausgerichtetes, stark automatisiertes Auswahlverfahren vergeben. In der zweiten Gruppe werden 50% der Mittel über ein anderes Verfahren vergeben, das primär künstlerisch orientierten Filmen gerecht wird.

Kunst und filmische Innovationen entstehen nicht unter kommerziellem Druck. Der Erfolg dieser Filme kann nicht vorhergesagt und kommerziell eingeordnet werden, für die Beurteilung solcher Projekte bedarf es eines schärferen Sachverstandes, kuratorischer Unabhängigkeit und einer Transparenz, die im bisherigen System nicht gegeben ist.


EINSETZUNG VON KURATOREN IM ROTATIONSPRINZIP KÜNSTLERISCHE ENTSCHEIDUNGEN SIND INDIVIDUELLE ENTSCHEIDUNGEN. SIE KÖNNEN NICHT VON GREMIEN GETROFFEN WERDEN.

Wir schlagen vor, in jeder Förderung, auf Bundes- wie auf Landesebene, für die kulturellen Filme eine Kuratorin und einen Kurator einzusetzen, die jeweils alleinige Entscheidungs-gewalt haben, und deren Stellen nach jeweils 3-4 Jahren neu besetzt werden. Die Kuratorinnen und Kuratoren sollten bei der jeweiligen Förderung von einer Findungs-kommission eingesetzt werden, die mindestens zur Hälfte aus Kreativen besteht. Die bisherigen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Förderungen bleiben für den organisatorischen Ablauf der Förderungen zuständig. Es sollte auch gewährleistet sein, dass die jeweiligen FörderreferentInnen für eine optimale Vorbereitung der Entscheidung der KuratorInnen beschäftigt bleiben.


ANONYMISIERTE EINREICHUNG BEI DER STOFFENTWICKLUNG SOWIE VERGABE VON 20% DER PRODUKTIONSMITTEL FÜR KULTURELLE FILME IM LOSVERFAHREN

Um eine größtmögliche Chance für ungewöhnliche, innovative Projekte auch von bisher nicht etablierten Filmschaffenden zu gewährleisten, sollte über die anfängliche Stoffentwicklungsförderung auf der Grundlage anonymisierter Anträge entschieden werden.


Darüber hinaus sollen 20% der für die künstlerisch orientierten Projekte zur Verfügung stehenden Produktionsmittel unter den von den KuratorInnen nicht berücksichtigten Projekten verlost werden.


SOFORTMASSNAHMEN

Da ein solcher Systemwechsel sicherlich nur langsam durchsetzbar ist, fordern wir einige Sofortmaßnahmen, um dem Fördersystem, welches sich in 50 Jahren mit unklaren Förderkriterien verselbständigt hat, ein wenig Sauerstoff zuzuführen:


Die jeweilige Erstförderung eines Projekts verpflichtet sich zu einer Förderung mit 30% des gesamten Projektbudgets. Damit könnten der Fördertourismus und die Finanzierungszeiträume entschieden verringert werden.


Der Anteil der Entwicklungs- und Verleihförderung wird massiv erhöht. Die Entwicklungsförderung in Deutschland beträgt seit Jahrzehnten unverändert ca. 4% des gesamten Förderetats. Damit sind wir das Schlusslicht in Europa. Die Verleihförderung ist in den letzten 10 Jahren in inflationsbereinigt sogar um 10% gefallen. Das ist ein komplett falsches Signal in Zeiten verminderter Aufmerksamkeit für den einzelnen Kinofilm. Wir sind uns im Klaren, dass dies als Sofortmaßnahme zu Lasten der Produktionsförderung gehen würde.


Die Regionaleffekte werden abgeschafft oder die Regionalförderungen einigen sich auf eine „Effekt-Tauschbörse“.


Der kalkulatorische Realismus wird anerkannt, vor allem in Bezug auf sozialverträgliche Gagen.


Die beantragten Summen dürfen nur dann reduziert werden, wenn es „Kalkulations-fehler“ gibt.


Alle Gremienförderungen werden aufgefordert, ab sofort ihre Kriterien und die eigene Spruchpraxis offenzulegen. Es muss gewährleistet sein, dass die Gründe für die Ablehnungen der Anträge detailliert mitgeteilt werden. Das bisherige Spekulieren darüber ist unserer Meinung nach der Hauptgrund, dass sich schon in der Stoff- und Projektentwicklung vorauseilend der allgemeinen „Middle-of-the-road“-Entscheidungspraxis gebeugt wird.


DIE BETEILIGUNG DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN FERNSEHANSTALTEN BEENDIGUNG DES FINANZIERUNGSMODELLS KINO-KOPRODUKTION

Das zweite Standbein der Finanzierung deutscher Kinofilme ist die Kino-Koproduktion mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Zu Recht wird immer wieder daran erinnert, dass diese Form der Zusammenarbeit zwischen dem Fernsehen und der Förderung großartige Filme hervorgebracht hat. Die Entwicklungen seit 20 Jahren sind aber geprägt von schwindenden Etats und Sendeplätzen. Zunehmend ist auch die Übernahme von Kino-Koproduktionen und damit Fördergeldern durch sendereigene Produktionsfirmen zu beobachten. Zu deren Geschäftsmodell gehört auch die Besetzung von Plätzen in Fördergremien durch Fernsehleute. Es ist mehrfach nachgewiesen worden, dass einige Sender die bei der jeweiligen Förderung eingezahlten Gelder (und mehr!) wieder in eigene Kino-Koproduktionen und in Fernsehproduktionen zurückführen. Da nun auch die letzten „klassischen“ KinofilmredakteurInnen in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten beklagen, dass der Kinofilm in ihren Häusern nicht mehr die gleiche Unterstützung erfährt wie noch vor 20 Jahren, fordern wir die Bundes- und Landespolitik auf, das nostalgisch verklärte Modell Kino-Koproduktion zu beenden. Stattdessen bedarf es eines neuen Beteiligungsmodells der öffentlich-rechtlichen Sender.


BILDUNG EINES STAATLICHEN FONDS ALS AGENTUR FÜR FREE-TV-RECHTE


Es gibt seit einiger Zeit Vorschläge, wie die Gelder der öffentlich-rechtlichen Sender, die bisher über Kino-Koproduktionen und über Einzahlungen der Sender in deutsche Förderungen geflossen sind, anders und effektiver dem Kinofilm zu Nutze kommen können, ohne dass die Projekte vorher durch zahlreiche Gremien und Redaktionen laufen müssen.


Wir schlagen – mit anderen – die Bildung eines staatlichen Fonds vor, der als Rechte-Agentur die Free-TV-Rechte deutscher Filme verwaltet und vertreibt. Der Lizenzanteil für deutsche Free-TV-Rechte liegt in der Regel bei 25-30%, wenn man die nicht nachvollziehbare Teilung der bisherigen Zahlungen in 50% Lizenz- und 50% Koproduktionsanteil vernachlässigt, die in den 1990er Jahren eingeführt wurde.


Ein Fonds, dessen Finanzierung in den Anfangsjahren durch die Länder und den Bund gewährleistet sein müsste, erwirbt automatisch die deutschen Free-TV-Rechte in Höhe von 30% des Budgets, wenn bereits 70% des Filmprojektes finanziert sind. Diese Gelder stellen den Nachweis des Eigenanteils der Produktion in der Finanzierung dar.


Sollte es in Deutschland in der Zukunft wieder zu steuerbasierten Anreizmodellen für die Filmbranche kommen, wäre eine staatliche Garantie für die deutschen Free-TV-Rechte nicht mehr nötig, da sich Filmfonds und einzelne Personen an dem Pool für deutsche Free-TV-Rechte beteiligen könnten.


VERPFLICHTUNG ZU ANKAUF UND AUSSTRAHLUNG IN DEN RUNDFUNKSTAATSVERTRAG

Im Rundfunkstaatsvertrag gilt es zu regeln, dass die öffentlich-rechtlichen Sender einen bestimmten prozentualen Anteil ihres öffentlich erhaltenen Budgets (Haushaltsabgabe) für den Ankauf von Lizenzen aus diesem Pool nutzen und die dazugehörigen Sendeplätze bereitstellen. Die Filme würden die Sender selber auswählen, hierdurch bliebe die verfassungsrechtlich gewährte Programmhoheit gewahrt.


HANDELSFREIHEIT FÜR DEN FONDS

Der Rechte-Pool würde diese Rechte nicht nur an die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender verkaufen können. Sollte der Preis eines Lizenzverkaufes die Summe überschreiten, die bei der Finanzierung des Films vorab ausgezahlt wurde, kommt es zu einer Beteiligung der Produktion an diesen Mehrerlösen. So entstünde ein Nachfragemarkt, der sich deutlich vom bisherigen Angebotsmodell deutscher Prägung unterscheidet.


SCHLUSSBEMERKUNG

Wir sind uns einig: Über künstlerische Filme kann nicht mehr in intransparenten Gremien mit einer verschwommenen pseudo-kommerziellen Spruchpraxis entschieden werden und genauso wenig nach den Anforderungen eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das einerseits einem selbst auferlegten Quotendruck folgt und andererseits oft immer noch im sozialpädagogischen Ansatz der 70er Jahre verharrt. In den letzten 20 Jahren – Ausnahmen ausgenommen – ist ein deutsches Kino entstanden, das von Anpassung, Angst und falschen kommerziellen Vorstellungen geprägt ist. Diesen deutschen Gremienfilm gilt es abzuschaffen, wenn das Kino der Zukunft sein Publikum mit interessanten, spannenden, abgründigen und künstlerisch besonderen deutschen Filmen finden möchte.


FÜR DIE ZUKUNFT DES DEUTSCHEN FILMS: MEHR ENERGIE FÜR DIE KUNST, WENIGER DEN VERKRUSTETEN UND ÜBERKOMMENEN STRUKTUREN.

NACHWUCHS UND AUSBILDUNG

VORBEMERKUNG

Film war bereits das Leitmedium des 20. Jahrhunderts und hat im 21. Jahrhundert – gerade auch in durch die technische Entwicklung geschaffenen zusätzlichen Formen – eher noch an Bedeutung gewonnen. Viele junge Menschen zieht es in die Berufe unserer Branche – viel mehr, als im Arbeitsmarkt langfristig ein Auskommen finden können. Ihre Talente, Biographien, Erzählanliegen sind höchst heterogen. Und kaum einmal lässt sich schon frühzeitig der Wert des späteren Beitrags des einzelnen Nachwuchsfilmschaffens für die Zukunft des deutschen Films erkennen. Dementsprechend erscheint es wichtig, möglichst vielen potentiellen Talenten erst einmal eine Chance zu geben.

AUSBILDUNG UND HOCHSCHULEN

BESTANDSAUFNAHME: FÜR EINE VIELFÄLTIGE AUSBILDUNGS-LANDSCHAFT

Die heterogene Ausbildungslandschaft mit allein in Deutschland sieben Filmhochschulen von Weltrang, angewandten Medienstudiengängen an Fachhochschulen und Filmklassen an Kunsthochschulen ist grundsätzlich begrüßenswert. Die Vielfalt dieser Ausbildungswege ist geeignet, der Vielfalt der Biographien und künstlerischen Visionen der Auszubildenden zu entsprechen. Darüber hinaus bedeutet sie für die Angenommenen oft eine Finanzierungszusage für eine Reihe von Projekten und den Zugang zu einem Netzwerk aus KommilitonInnen und Alumni, das in einer beziehungsgetriebenen Branche von kaum zu überschätzendem Wert sein kann. Ein wesentlicher Teil der Filmausbildung sollte das praktische Filmschaffen und die Auseinandersetzung mit dem Publikum sein. Dabei müssen neue bzw. alternative Auswertungswege gleichwertig neben klassischen Verwertungsformen wie der Kinoauswertung gedacht werden.

NEUE FORMATE FÜR DEN ABSCHLUSSFILM

Ein virulentes Problem der Filmhochschulen ist die Fixierung der Studierenden auf einen neunzigminütigen Abschluss lm in Zusammenarbeit mit einem TV-Sender als Visitenkarte für das Entree in die Branche. Künftig sollte der Abschlussfilm nicht an ein Format gebunden sein. Damit besteht auch die Möglichkeit, diese Arbeit unabhängig vom Sender entstehen zu lassen. In der Branche sollte die Arbeit in jedem Format als Visitenkarte gelten.

NACHWUCHSFÖRDERUNG

ROLLE DER SENDER FÜR DIE NACHWUCHSFÖRDERUNG

Dennoch werden die öffentlich-rechtlichen Sender im gegenwärtigen System nicht aus der Pflicht entlassen, sich eindeutig und kontinuierlich um die Förderung des filmischen Nachwuchses zu kümmern. Diese Verpflichtung sollte Gegenstand des Rundfunkstaats-vertrages werden.

QUEREINSTEIGERINNEN UNTERSTÜTZEN

Neben den geordneten Ausbildungsgängen gibt es in unserer Branche schon traditionell auch AutodidaktInnen und QuereinsteigerInnen – als in der Praxis häufig steinigeren, aber unbedingt gleichwertigen Weg. Die durch die Digitalisierung ausgelöste Demokratisierung hat diesen Weg für eine größere Zahl von FilmemacherInnen gangbar gemacht, weil sich die nicht substituierbaren Kosten weiter reduziert haben.

ERGÄNZUNG DER NACHWUCHSFÖRDERUNG: NACHWUCHSTOPF

Der Vielfalt der Einstiegswege entspricht die Vielfalt von Finanzierungsoptionen für Nachwuchsprojekte. Ein Pluralismus aus Förderinstitutionen, Mäzenen und anderen Finanzierungsquellen gibt auch besonderen Ansätzen eine Chance, einen Finanzierungs-partner zu finden, der sich genau hierfür begeistern lässt. Daher erscheint hier nicht Konzentration, sondern eher noch eine Verbreiterung der Möglichkeiten angesagt:

Und zwar ganz konkret dadurch, im Zuge einer Neustrukturierung der Förderinstitutionen einen bundesweiten Nachwuchstopf für Projekte mit knappen Budgets einzurichten, der als Alleinfinanzierungsquelle dienen kann (aber nicht muss). Bei diesem Topf sollten die Projekte von AutodidaktInnen und QuereinsteigerInnen die gleiche faire Chance bekommen wie die von AbsolventInnen der unterschiedlichen Wege der akademischen Filmausbildung und auch Formate jenseits des abendfüllenden Spiel lms Berücksichtigung finden. Dieser Topf kann mit der Möglichkeit der Alleinfinanzierung auch der Entkoppkung von Sendern und Filmförderung dienen.

In einer Projektentwicklungsphase sollen zunächst deutlich mehr Projekte unterstützt werden (Breitenförderung), als schließlich Produktionsförderung erhalten werden.

Grundsätzlich halten wir es aber für unbedingt erforderlich, gerade in dieser Phase erstens einen Akzent auf die Entwicklung von Filmprojekten zu legen (deren Scheitern ausdrücklich eine künstlerische und inhaltliche Option sein darf) und zweitens die EmpfängerInnen der Förderung aus diesem speziellen Topf nicht alleine zu lassen.

Hier gilt es, ein MentorInnenprogramm zu entwickeln, das den TeilnehmerInnen des Förderprogramms Branchenexpertise und künstlerische Kooperation gleichermaßen zugutekommen lässt.

Die Förderkriterien selbst müssen noch entwickelt werden, sollten aber im Geist des Förderprogramms ein hohes Maß an Automatismus besitzen. Dabei setzen wir eine Geschlechterquote als selbstverständlich voraus. Auch Losverfahren und persönliche Vorstellungen der Projekte könnten den klassischen Förderantrag bei einem Nachwuchstopf sinnvoll ergänzen.

Für den Erfolg dieser Förderung gelten eindeutig Kriterien auch jenseits der klassischen Kinoauswertung, weil diese Förderung nicht an eine Kinoauswertung gebunden sein soll. Es gelten individuelle Erfolgskriterien wie Festivalteilnahmen, Preise, Klickzahlen im Online-Bereich oder Vorführungen in Museen.

KINOKULTUR UND DISTRIBUTION

FILMBILDUNG

FILMBILDUNG STÄRKEN


Kulturvermittlung als solche gewinnt eine immer größere Bedeutung innerhalb der Gesellschaft, die alle Altersklassen und Gruppen der Gesellschaft umfassen muss. Filmbildung sollte bereits im vorschulischen Alter beginnen. Initiativen haben gezeigt, dass bereits vier- bis sechsjährige Kinder dafür offen sind, auch für die Begegnung mit anspruchsvollen Filmformen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass im Augenblick geeignete Filme für Vorschulkinder fehlen.

FILM ALS EIGENSTÄNDIGES MEDIUM IM UNTERRICHT VERANKERN

Um die Filmkultur in Deutschland zu fördern, ist es unabdingbar, Film als Leitmedium im Schulunterricht zu verankern und zwar ab der ersten Klasse. Dabei darf Filmbildung nicht im Dienst anderer Fächer stehen, sondern legitimiert sich aus eigenem Recht, weshalb die Ästhetik, das filmische Erzählen, die Vermittlung der Filmgeschichte und der Vielfalt kinematografischer Formen im Mittelpunkt des Fachs stehen müssen.

AUS- UND FORTBILDUNG VON LEHRKRÄFTEN UND GEEIGNETES LERNMATERIAL SIND VORAUSSETZUNG

Für die Filmbildung in den Schulen müssen neue Formen des Lehrens und des Lernens entwickelt werden. Dazu bedarf es der Ausbildung von FilmpädagogInnen sowie der regelmäßigen Weiterbildung von Lehrkräften. Außerdem müssen neue im Internet verfügbare Learning Tools entwickelt werden, mit deren Hilfe sich Filmanalyse und Vermittlung von fundiertem Filmwissen adäquat umsetzen lassen.

In die schulische Bildung sind Festivals und das Kino als außerschulischer Lernort vor Ort einzubinden. Dabei darf diese Art der Filmbildung im Kino finanziell nicht zu Lasten des Kinos selbst gehen. Differenzen zwischen dem Eintrittspreis für die Schulen und dem regulären Ticketpreis sind auszugleichen.

ROLLE DES KINOS

KINO ALS SOZIOKULTURELLEN ERFAHRUNGSORT STÄRKEN

Kino ist ein soziokultureller Ort der Begegnung, der gemeinsamen ästhetischen Erfahrung, des Austauschs, der Reflektion, des Gesprächs, des Zusammenhalts der Gesellschaft und stellt besonders auf dem Land einen wichtigen Standortfaktor dar. In dieser gesellschaftlichen und kulturellen Funktion und Bedeutung sind Kinos stärker als bislang zu fördern, um erstens ihren Bestand in der Fläche zu sichern und ihnen zweitens zu ermöglichen, mit einem langfristig angelegten anspruchsvollen Programm und einem attraktiven Rahmenprogramm ein neues Publikum vor Ort zu gewinnen und zu halten und auf diese Weise zur kulturellen Bildung beizutragen. Kino als soziokulturellen Erfahrungsort zu fördern ist eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung.

KINOPROGRAMMPREIS DER BKM ERHÖHEN UND AUSBAUEN

Wir begrüßen eine entsprechende Aussage im Koalitionsvertrag der Bundesregierung und fordern, den Kinoprogrammpreis der BKM deutlich zu erhöhen. Er soll dahingehend ausgebaut werden, dass Kinos in die Lage versetzt werden, vor Ort eine nachhaltige Strategie für die Publikumsgewinnung und das Zielgruppenmarketing für ein anspruchsvolles Programm zu entwickeln. Den Kinos wird dadurch ermöglicht, vor Ort mit den ihnen vertrauten Partnern und Organisationen zusammenzuarbeiten. Die BKM soll deutlich mehr Kinos in das Programm aufnehmen. Das soll auch die Förderung von Modellprojekten beinhalten. Das sind Konzepte für Programmierung und Öffentlichkeitsarbeit, die über drei Jahre angelegt sein sollen, damit sie nachhaltiger wirken und so Modellcharakter entfalten können.

KINOS IN DER FLÄCHE FÖRDERN

Aktuelle Tendenzen, neue Kinos insbesondere in der Fläche zu gründen, sind von den Ländern zu unterstützen, indem sie sich an Investitionen beteiligen und auch die notwenigen technischen Umrüstungen bestehender Kinos nanziell fördern.

VERLEIH

FÖRDERUNGEN ENTKOPPELN UND VERLEIHFÖRDERUNG ÖFFNEN

Die verschiedenen Bestandteile der Filmförderung müssen voneinander entkoppelt werden.Wir plädieren dafür, dass Verleihförderungen unabhängig von der Produktionsförderung sind. Das bedeutet: Verleihförderung soll grundsätzlich auch denjenigen Filmen zugutekommen können, die keine Produktionsförderung bekommen haben. Dies gilt für deutsche wie auch für internationale Produktionen. Für eine lebendige Film- und Kinokultur ist es wichtig, dass möglichst viele Produktionen die Chance auf diese wichtige Unterstützung für eine Kinopräsenz bekommen.


KINOVERLEIH DARF KEINE VORAUSSETZUNG FÜR PRODUKTIONSFÖRDERUNG SEIN

Ebenso wichtig ist es im Gegenzug, die Produktionsförderung von der Verleihzusage zu entkoppeln. Das gilt für alle Förderinstrumente, insbesondere für den DFFF. Mit der Verbindung von Produktionsförderung und Verleihzusage wird suggeriert, dass alle Filme ins Kino kommen und dort eine gute Auswertung erfahren können. Sie ist auch einer der Gründe für die steigende Zahl der Kinostarts, die zur Folge hat, dass Filme schlechterer Qualität die Kinos verstopfen.

Die Entkopplung von Verleih- und Produktionsförderung entbindet auch Verleihe von der Notwendigkeit, sich an Projekten zu beteiligen, von denen sie nicht absehen können, ob der Film im Kino eine Chance hat.


SPERRFRISTEN AUFHEBEN, KINOS STÄRKEN

Der Kinostart eines Films hat weiterhin die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, Filme bekannt zu machen und ins Gespräch zu bringen. Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit leisten die Kinos einen wichtigen Beitrag dazu. Deshalb sollten sie in die Online-Auswertung mit einbezogen werden. Sie sollen an den Einnahmen aus dem VOD-Vertrieb beteiligt werden, wobei sich die Höhe der Beteiligung nach der Dauer des Kinoeinsatzes und der erzielten Besucherzahlen richtet. Dafür gibt es verschiedene Modelle, unter anderem die Möglichkeit, dass Kinos den VOD-Vertrieb auf ihren eigenen Homepages anbieten können.

Angesichts des Wandels der Distributionsformen und der stark wachsenden Bedeutung von Onlinevertrieb fordern wir eine Aufhebung der bislang gesetzlich festgelegten Sperrfristen. Stattdessen plädieren wir für die Möglichkeit, flexible und individuelle Regelungen zwischen den Kinos und den VerleiherInnen/ProduzentInnen zu vereinbaren. Das ermöglicht die dringend notwendige Entwicklung alternativer Herausbringungsstrategien, insbesondere an der Schnittstelle zwischen Kino- und VOD-Auswertung.